Der 2017 innerhalb von nur fünf Wochen hochgezogene 30 m hohe Julierturm wird derzeit als temporäre Aufführungsstätte des von Giovanni Netzer gegründeten Origin Cultural Festivals genutzt und noch bis 2020 bespielt. Dann wird er wieder abgebaut. Das liegt unter anderem daran, dass Netzer sonst keine Baugenehmigung bekommen hätte. Der Turm liegt außerhalb des Baugebiets.
Die Berge als Bühnenbild
Die Bauelemente kamen fertig am Pass an und wurden dort zusammengesetzt. Dabei bewiesen die Bauherren einen Blick fürs Detail: Damit die Akustik den hohen Ansprüchen genügen konnte, haben sich immer wieder MusikerInnen und SängerInnen auf der Baustelle eingefunden und testgespielt. So konnte man vor Ort auf etwaige Variationen reagieren. Der Baustoff Holz entsprach durch seine Oberfläche zusätzlich den akustischen Anforderungen. Auch die Fenster, die den Blick auf die Landschaft eröffnen, haben Netzer und die Ingenieure von Walter Bieler mehrmals angepasst, um dem Publikum das optimale Erlebnis zu bieten. Durch die großen Öffnungen binden sie das Panorama in das Bühnenbild ein. Zusätzlich dienen die hohen Fenster als Logen für die bis zu 270 BesucherInnen. Diese sind auf Plattformen zwischen zehn sternförmig angeordneten Türmen eingehängt. Pfähle aus fünf 12 cm dicken Brettsperrholzplatten aus Fichtenholz sind tragendes Element der 490 t schweren Konstruktion.
Um Windgeschwindigkeiten von bis zu 220 km/h und schwierigen Wetterbedingungen am Julierpass zu trotzen, steht die im Werk vorgefertigte und in 40 Elemente unterteilte Holzkonstruktion auf einer massiven Fundamentplatte aus Stahlbeton. Für die Fundamente wurden zudem Mikropfähle mit einem Durchmesser von 5,1 cm und einer Länge von 10 m verankert.
Die Bühne als Schwebekonstruktion
Nicht ganz so massiv hingegen wirkt die Bühne im Zentrum des Turmes. Trotz des Durchmessers von 10 m scheint die Bühne beinahe schwerelos: Als Schwebekonstruktion von der Decke mittels Stahlketten an fünf Motoren abgehängt ist sie vertikal fahrbar. Intendant Giovanni Netzer entwarf die Bühne auf diese Weise, um verschiedene Spielmöglichkeiten und Blickmöglichkeiten auf die Bühne zu ermöglichen und die Beschaffenheit des Turmes bestmöglich zu nutzen. Die Bühnenunterkonstruktion besteht aus Alu-Profilen mit einer 2,7 cm starken Mehrschichtplatte darüber. Unter der Bühne befinden sich der Eingangsbereich und das Foyer.
Die Sonne als Beleuchtungselement
Ungewöhnlich für ein Theater: Es ist hell. Ein Drittel des Turmes besteht aus Fensterflächen. 50 einfach verglaste unterschiedlich hohe Fenster wurden in der Höhe von 5,86 m am Fuß bis zu 3,22 m am obersten Ende des Turms angebracht. „Sie ermöglichen eine weitestgehend natürliche Beleuchtung im Turm und einen atemberaubenden Blick auf die Naturkulisse“, erklärt Serge Schmuki. Der Schweizer Lichtplaner der Firma Tokyo Blue zeichnete für die Lichttechnik des Julierturms verantwortlich. Ihm war es ein Anliegen, Tageslicht und künstliches Licht zu verknüpfen. An den Balkonen 1-3 wurden jeweils sechs LED-Profilscheinwerfer angebracht. Zusätzlich dazu wurden in allen logenartigen Gewölben Fenster angebracht. Dass die Vorstellungen bei Sonnenuntergang beginnen, ist kein Zufall, wie er sagt: „Die untergehende Sonne ergibt eine faszinierende Lichtstimmung.“ Neben der Atmosphäre gab es aber auch praktische Gründe für den Einsatz von natürlichem Licht: Aufgrund der Beschaffenheit sei es nur begrenzt möglich, den Turm künstlich zu beleuchten. Der Lichtdesigner erklärt, die abgehängte Bühne selbst könne etwa nur von oben beleuchtet werden. Sechs LED-Moving Light Spots wurden dafür in den Decken über der Bühne montiert.
Daten & Fakten
- Entwurf: Giovanni Netzer, Intendant, Origen Cultural Festival
- Ingenieure: Walter Bieler AG, Ingenieurbüro Spezialität Holzbau
- Temporäre Errichtung: von 2017 bis 2020
- Baukosten: rund 1,7 Mio. €
- Platz für bis zu 270 BesucherInnen
Von Elisabeth Stuppnig und Florian Born