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Das neue Stück „Bullet Time“ im Wiener Volkstheater bringt die bewegte Lebensgeschichte eines amerikanischen Kino-Pioniers als Live-Film auf die Theaterbühne. Autor Alexander Kerlin und Director of Photography Max Hammel im Gespräch über die vielen technischen Herausforderungen. 

Die Herausforderung: ein Bühnenbild, das real mit dem Publikum und auch auf der Leinwand über den Köpfen funktionieren muss. Foto: Marcel Urlaub/Volkstheater

Bullet Time ist eine Mischung aus Theaterstück und Live-Film. Wie sieht das in der Umsetzung aus? 

Max Hammel: Das Stück ist ein Kinofilm, den wir bei jeder Vorstellung im Rahmen eines Theaterabends live vor Publikum herstellen. Das Bühnenbild besteht aus mehreren Filmsets, die an klassische Spaghetti-Western-Filme erinnern. Die Sets können von der Bühnentechnik bei Szenenwechsel hinein- und hinausgerollt oder gedreht werden. 

Worum geht es dabei inhaltlich? 

Hammel: Es geht um die turbulente Lebensgeschichte von Eadweard Muybridge. Er ist einer der großen Wegbereiter des modernen Kinos. Gleichzeitig war Muybridge aber auch der letzte Mann in Kalifornien, der nach einem Eifersuchtsmord in einem großen Schauprozess freigesprochen wurde. Diese Verbindung von Bildproduktion, Kreativität und Gewalt hat uns interessiert. Die Geschichte stellen wir mithilfe von mehreren Kinokameras auf Gimbals, Rollstativen und einem Kamerakran nach, aber auch mit Live-Color-Grading und Live- Schnitt. Dabei greifen wir tief in die Trickkiste – damit der Film vor den Augen des Publikums einer gängigen Kinoproduktion in nichts nachsteht. 

Alexander Kerlin: Mit der Erfindung der Fotografie wurde zeitgleich die Manipulation an der Fotografie erfunden. Von Anfang an wurden Fotografien verändert, um etwa Menschen schöner wirken zu lassen. Uns interessiert, dass unsere modernen Mediengesellschaften schon in ihrer Gründungsphase im 19. Jahrhundert Praktiken erfanden, mit denen wir heute täglich und pausenlos zu tun haben. Was zeigt ein Bild? Welche Evidenz hat ein Bild? Aus diesen Gründen interessiert es uns, auf der Theaterbühne die Herstellung der Bilder offenzulegen. 

Das Stück feierte am 7. September Premiere. Woran arbeiteten Sie in den letzten Probentagen? 

Kerlin: In dieser Phase findet der letzte Schliff an der Sprache statt. Wir arbeiten eng mit den Schauspieler:innen zusammen, kürzen noch ein bisschen, klären die Emotionen nochmal ganz genau. Außerdem geht es in der Endphase um Details der Ausstattung, Beleuchtung, Bluttests für unsere Action-Sequenzen und Szenenübergänge. Besonders wichtig sind die Bewegungsabläufe. Sie müssen wir zwischen den fünf Kameramännern und unseren Schauspieler:innen präzise koordiniert werden,, damit das Stück in einem einzigen großen Atemzug durchlaufen und so einen eigenen Rhythmus entwickeln kann. 

Was ist in der Inszenierung technisch besonders herausfordernd und inwiefern ist das künstlerisch wichtig? 

Hammel: Die große Herausforderung ist, dass das Bühnenbild real mit dem Publikum und auch auf der Leinwand über den Köpfen funktionieren muss. Wenn wir zum Beispiel in unserem Western-Saloon drehen, dann müssen die Kamerabilder so cineastisch und immersiv wie möglich aussehen. Gleichzeitig darf die Szenerie aber nicht von unseren Geräten verdeckt werden. Da ist in manchen Momenten Kompromissbereitschaft gefragt. Wir sind allerdings ein sehr eingespieltes Team, das schon lange an filmischen Theaterabenden arbeitet. Es macht richtig Spaß, großes Kino auf der guten alten Guckkastenbühne des Volkstheaters möglich zu machen. 

 

Inwiefern gilt es bei den vielen technischen Möglichkeiten heutzutage vielleicht sogar darauf zu schauen, dass technologische Elemente im Theater nicht überhandnehmen? 

Kerlin: Theater ist live. Es lebt davon, dass ein Publikum zuschaut, während die Schauspieler:innen körperlich anwesend sind. Das ist der Unterschied zum Kino, zur Malerei, zur Fotografie, zur Literatur. Unserer Meinung nach kann der Einsatz von Technologie das nicht bedrohen. Die Theater haben immer die neuesten Techniken in ihre Aufführungen inkorporiert, bis es selbstverständlich wurde. Heute fragt ja auch niemand mehr, warum es Scheinwerfer auf der Bühne gibt. Allein die Architektur von Theatergebäuden ist Technologie. 

Hammel: Die Vielfalt der darstellerischen Mittel wächst einfach, wenn wir innovative Technologien verwenden. Ich glaube, die Menschen werden immer Schauspieler:innen und Geschichten lieben und die Formen werden vielfältig bleiben. Die leere Bühne, der Stuhl und ein:e Schauspieler:in – das wird bleiben. Aber die Theaterbühne ist der einzige Ort, an dem Maschinerie, Code und menschlicher Körper live und vor Publikum aufeinandertreffen können und ihre Konflikte aushandeln. 

Das Stück führt am Ende in die multimediale Gegenwart: Mit welchen Elementen setzen Sie das um? 

Kerlin: Unsere Aufführung endet in der Gegenwart – und zwar mit einer Kugel im Flug, die im Sommer 2024 fotografiert wurde. Sie schwebt vor dem Himmel von Butler, Pennsylvania, neben dem Kopf eines bekannten ehemaligen US-Präsidenten. Das war für ein paar Tage ein virales Phänomen. Eine Figur sagt: „Wir können heute alles, jederzeit und von überall aus sehen – bis vor lauter Sichtbarkeit und Evidenz unsere Welt erneut in Dunkelheit versinkt.” Das ist das Grundthema des Stücks. Eine Frage, die zugleich technologisch und gesellschaftlich ist. Es ist die Stärke von Theater, ganz aktuelle Entwicklungen in die Inszenierungen integrieren zu können. 

-ae

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Der Artikel ist im aktuellen Prospect-Magazin erschienen. 
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