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Die U-Bahn-Station Simmering und die Staatsopernbühne haben auf Anhieb nur wenig gemein. Die neu inszenierte Oper „Wozzeck“ von Simon Stone beweist allerdings das Gegenteil. Nicht nur Inhalt, sondern auch Bühnenbild und Licht sind in der Darstellung außerordentlich.

Ein Sozialdrama der Gegenwart
Wozzeck, gespielt von Christian Gerhaher, geht in diesem Stück mehreren Tätigkeiten nach: als Barbier, Stöckeschneider oder auch als Versuchskaninchen für fragwürdige medizinische Experimente. So ernährt er seine Partnerin Marie, gespielt von Anja Kampe, und ihren Sohn. Zwei Konkurrenten seinerseits – Der Doktor und der Hauptmann – machen schon zu beginnd des Stücks boshafte Anspielungen, und bald wird Wozzeck klar, dass Marie ihn betrügt. Beim nächsten Zusammentreffen tötet er Marie. Ein Sozialdrama der Vergangenheit und Gegenwart! Sowohl Bühnenbild als auch Kostüm sind modern inszeniert: man sieht die U-Bahn-Haltestelle Simmering, und der Tambourmajor trägt eine Polizeiuniform. Und doch trifft diese moderne Inszenierung den ursprünglichen Punkt des Stückes. Auch durch den originalen Text von Georg Büchner, dessen Texte auf Karl Emil Franzos zurückgehen, wirkt das Stück zeitlos. Technisch raffiniert gelöst wurde die Sprachbarriere bei vielen Zuschauenden – auf den Bildschirmen vor den Sitzen konnten sie das Spiel auf mehreren Sprachen mitlesen.

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© Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Das rotierende Bühnenbild
Ausgehend von der inhaltlichen Vielfalt gestaltet sich auch das Szenenbild multiple. Eine rotierende Bühne mit sich verändernden Szenarien wirken auf Zusehenden mitreißend. Und trotz des sich stetig wechselnden Bühnenbilds bekamen die Zuschauenden nichts von den Arbeiten hinter der Bühne mit. Die sich ständig verändernde wurde zum Schauplatz von technischer Schnelligkeit: Von der ersten Szene beim Barbier, über den Würstelstand, Fitnessstudio, und Outdoorschauplätzen. Manchmal blieb die Bühne so stehen, dass es möglich war drei Räume gleichzeitig zu sehen, wie zum Beispiel das Schlafzimmer des Ehepaars Wozzeck, in dem der Ehemann seine ihn betrügende Frau in mehreren Liebesakten betrachtet. Auch die letzten Szenen, in denen Marie und Wozzeck ihren Tod finden, bieten ein eindrucksvolles Bühnenbild: Ein riesiger Haufen Erde, doppelt so groß wie die Darsteller:innen selbst, erinnert an die Donauinsel. Den krönenden Abschluss bietet der am Ende erklingende Kinderchor mit Musik von Alban Berg. Diese Inszenierung hinterlässt für Zuschauende zweifelsohne großen Eindruck.

 

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© Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Ton und Gesang
Gesanglich gibt es orchestralen Vollklang nur bei Zwischen- und Überleitungsstücken, um nicht zu stark von den textlichen Passagen des Stücks abzulenken. Diese sind bei einer Literaturoper wie Wozzeck fordernd für die singenden Darstellenden. Das Staatsopernorchester untermalte akustisch passend zum Stück: Zu hören waren ein verstimmtes Klavier, Ziehharmonika, Gitarre, Klarinette in C, Basstuba sowie zwei Violinen die einen ganzen Ton höher gestimmt waren, als üblich.

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© Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Femizide: Präsenter denn je
Die Aktualität des wahren Dramas aus dem Jahr 1821 ist nicht zu bestreiten. Nicht nur technisch an die Gegenwart adaptiert, auch gesellschaftlich trifft die Inszenierung von Simon Stone ins Schwarze. Besonders wichtig ist für Stone: Die systematische Entwicklung der Tragödie hin zum Frauenmord. Der Mord an der Partnerin, aus Eifersucht und Liebe getrieben, ist die zu oft gehörte Geschichte am Mord eines Geschlechts – dem Femizid. Das Aggressionspotenzial des Protagonisten, das sich über die drei Akte aufbaut, und in einer Gewalttat mündet, beschreibt die strukturellen Probleme des österreichischen Sozialgefüges.

(IP)

TECHNIK
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Licht: James Farncombe
Bühne: Bob Cousins

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