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Dr. Faustus, Mephisto und Gretchen – drei Charaktere, die in Johann Wolfgang von Goethes endlos rezitiertem Werk „FAUST. Eine Tragödie“ aus dem Jahr 1808 eine interdependente Beziehung führen. Das Volkstheater in Wien nimmt den Klassiker der deutschsprachigen Literatur und verwandelt ihn unter Regisseur Kay Voges zu einem hoch digitalisierten Bühnengenuss für kontemporäre Theaterfans.

FAUST wird im Volkstheater unter dem Stern der technischen Präzision neu interpretiert. Foto © Volkstheater

Jede Fotografie entsteht und wirkt durch Einzigartigkeit. Ob das der Anstoß für die Realisierung des Bühnenbildformats im Volkstheater war? Kay Voges inszeniert FAUST als den Kampf zwischen Ewigkeit und Augenblick. Das soll mittels Live-Fotografien von Marcel Urlaub veranschaulicht werden. Der Bühnenraum wird zum Lichtraum und zur Dunkelkammer gleichermaßen – ein gelungenes Wagnis.

Leben wir im Moment?
Nacht und Dämmerung prägen die Dramaturgie der Tragödie FAUST. Einige Szenen spielen in Dunkelheit und nur kurze blitzartige Sequenzen erhellen den Raum und geben Zuscher:innen Einblicke in das Leben und  die Individuen. „25 Mal fällt das Wort 'Augenblick' in FAUST, die Wörter 'jetzt' und 'nun' kommen zusammen knapp 300 Mal vor. Für Faust gibt es nur die Gegenwart – was ihm versprochen wird, möchte er unmittelbar erleben. Was ihn schuldig werden lässt, das verdrängt er schnell. Fotografieren geht seit jeher mit der alten Sehnsucht einher, den Moment einzufrieren, ihn im Nacherleben konservierbar zu machen. Es ist dieser alte, vergebliche Drang, der Faust mit Mephistopheles den Pakt besiegeln lässt: Augenblick, verweile doch“, erklärt Dramaturg Matthias Seier.

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Das Volkstheater Wien eröffnet durch die Fusionierung von Fotografie und Sprechtheater neue Möglichkeiten in der Wiener Kulturszene. Foto © Volkstheater 

In Dunkelheit
Die Planung, der Aufbau und die Realisierung der Bühne, des technischen Equipments sowie der Produktion dauerte mehrere Monate. „Während den Vorstellungen sorgen ein Technikteam, ein Team aus der Beleuchtung, eine Gruppe der Tonabteilung, unsere Videokünstler:innen und der Inspizient, dafür die Bühne wie von Zauberhand zu verwandeln und so unserer Zuschauer:innen zu begeistert“, erklärt Michael Sieberock-Serafimowitsch, Ausstattungsleiter am Volkstheater Wien. Die Bühne ist mit Drehscheibe, LED-WALL, großem Lichtkörper der als Sonne dient, schwarzen Kubus, der die Finsternis zeigt und einer enormen Lichtinstallation, ausgestattet.

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Licht, Ton und Videokunst greifen für die Inszenierung ineinander. Foto © Volkstheater 

Das Zahnrad greift ineinander
Max Hammel, zuständig für Video-Art bei FAUST, findet die Technik mindestens genauso wichtig wie die Darsteller:innen auf der Bühne. „Im Laufe der Inszenierung werden rund 150 Fotos live produziert, bearbeitet und in der Sekunde wieder auf die Bühne projiziert. Nachdem die Bilder entweder auf einer 8 x 6 Meter großen Leinwand auf der Vorbühne oder auf einer 8 x 4 Meter LED-Wall präsentiert werden, muss auf und um die Bühne in einer wahnsinnigen Präzision unter Zeitdruck gearbeitet werden.“ Die Projektionsgröße eröffnet dem Publikum einen neuen Blick auf die Bühne, auch enthüllt sie jedes kleine Detail auf das, was sich auf und hinter der Bühne abspielt.

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Die verwendete live-Fotografie gestaltet das Bühnenbild jedes Mal erneut einzigartig. Foto © Volkstheater 

Step by Step
Das Zusammenspiel von Licht, Ton, Video und Bühnenmaschinerie ermöglichen eine gelungene Vorstellung im Theater. Sigmar Kusdas, Inspizient des Volkstheaters verrät folgendes: „Durchsichtige meterhohe Plastikfolien, eine bühnenfüllende Leinwand und eine LED-Videowall werden aus dem Schnürboden heruntergelassen bzw. wieder hochgezogen. Das auf der Bühne stehende Gebäude ist auf der Drehscheibe platziert und bewegt sich mal im Uhrzeigersinn, mal dagegen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Versenkung, ein Hubpodium, befördert Mephisto von der Unterbühne mit zusätzlichen pyrotechnischen Effekten und Nebel mitten auf die Bühne.“ Die Inspizienz ist das Verbindungsglied zwischen Technik und Kunst und arbeitet fürs Publikum unsichtbar, allerdings essenziell. Mittels Lichtzeichen setzt Kusdas den Techniker:innen Zeichen fortlaufend während des Stücks. Die Live-Fotografie ist hier eine zusätzliche Herausforderung. Die Koordination erfolgt nicht rein über den Inspizienten, sondern auch über die Videoabteilung. „Die Programmierbarkeit der Bühnenmaschinerie erleichtert die perfekte Abstimmung mit Lichtlaufzeiten, Musik und Soundeffekten.“, sagt Kusdas und fährt weiter fort: „Am Ende der Inszenierung wird die Beleuchtungstechnik, die im Schnürboden hängt, weit abgesenkt und Faust wird an den Armen in eine Zugstange gehängt, die ihn ein Stück hochzieht. Dann spricht er die letzten Worte und mit dem Ausatmen des Schauspielers wird es finster. Blackout. Stille. 'Mehr Licht' hört man ihn im Dunkeln sagen. Ende“.

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"Was machen in Wien?", zu dieser rhetorischen Frage ist zu sagen: Die Inszenierung von FAUST im Volkstheater ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Foto © Volkstheater   

Das Zusammenspiel
„Meiner Meinung nach ist das besondere bei FAUST, dass sämtliche Gewerke des Theaters überdurchschnittlich viel ineinandergreifen müssen und so der Gedanke eines Ensemble-Theaters weiter gedacht wird als nur das klassische Darsteller:innen-Ensembles. Es gibt - um ein Beispiel zu nennen - einen Videoeffekt am Anfang des Stückes, der live auf die Stimme der Schauspielerin Friederike Tiefenbacher reagiert. Damit dieser Effekt funktioniert, muss Tiefenbacher auf der Hinterbühne, während eines Umzuges in ein Mikrofon sprechen, das zwischen Requisitentischen und Ankleider:innen positioniert wird. Das Signal dieses Mikrofons wird in der richtigen Frequenz vom Toncomputer zum Videoserver geleitet, wo es dann in der VJay Software „Resolume“ Helligkeits- und Kontrastverschiebungen eines Videos triggert“, beschreibt Max Hammel, Video Artist. Weiters erklärt Hammel: Friederike Tiefenbacher hat in dieser Szene einen Dialog mit einer Darstellerin, die vorne an der Bühne steht. Damit sie auf der Hinterbühne etwas hört, braucht sie Monitorboxen. Diese dürfen allerdings nicht zu sehr in das Mikrofon strahlen, damit der Videoeffekt tatsächlich nur von ihrer Stimme ausgelöst wird und nicht von den Geräuschen drumherum. Die Live-Cutterin muss diesen Videoeffekt händisch ein- und ausschalten, weil er exakt zum richtigen Moment beginnen und enden muss, damit er dramaturgisch funktioniert“.

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Durch die Digitalisierung wird der technische Handlungsspielraum von Arbeiter:innen erweitert und Klassiker können neu erfunden werden. Foto © Volkstheater 

Der Ton macht die Musik
Das Tonsystem des Volkstheaters setzt sich ausfolgenden Hauptkomponenten zusammen gibt der zuständige Sounddesigner Michael Sturm preis: „Das nativ auf dante basierende Audio over IP Mischpultsystem SSL System T mit einer S500 und einer S300 Mischpultoberfläche. Zudem wird eine Beschallungsanlage von Kling&Freitag mit dem Herzstück VIDA als Main-PA verwendet. Das digitale Funksystem sorgt reibungslosen Ton durch Sennheiser 6000 Mikroports und Handfunkmikrofone.“ Bei FAUST werden zudem vier Handfunkmikrofone, sechs Mikroports mit Headsets, ein Mikroport mit Lavalier als Raummikrofon und eine Inear-Strecke für einen Akku-Lautsprecher im fahrbaren Haus, eingesetzt. „Eine maßgebliche Rolle für FAUST spielt auch Ableton Live, das als Zuspielsystem agiert, verschiedene, teils exotische Reverbs und Delays verwaltet und die Musik und Soundeffekte auf insgesamt 18 Ausspielwege verteilt.", führt Sturm aus.

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Lavinia Nowak, nominiert für den Nestroy-Preis 2022 in der Kategorie BESTER NACHWUCHS, ergänzt das Ensembles des Volkstheaters in Wien. Foto © Volkstheater 

Präzises Arbeiten ist gefragt
"Präzision ist essenziell für diese Inszenierung. So gibt es verschiedene Verschränkungen zwischen den Gewerken: Audio to Midi (ein Max4Live-Plugin, das uns Florian Bogner vom Theater an der Wien dankenswerterweise programmiert hat), Audio to Video (via SSL-Pult – Dante Virtual Soundcard des Medienservers – Resolume), Fotokamera to Midi (Wenn der Fotograf Marcel Urlaub ein Foto macht, wird in Ableton ein Kamera-Sample ausgelöst) und Sound to Light (via Midi ausgelöst in Ableton)", offenbart Sounddesigner Michael Sturm.

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Das Volkstheater Wien bestimmt die Wiener Kulturszene mit. Anhand von Veranstlatungen, wie Theaterinszenierungen und Konzerten, begeistert das Haus Besucher:innen immer wieder aufs neue. Foto © Volkstheater 

Auf die Frage, wieso Live-Fotografie gerade bei FAUST eingesetzt wurde, artikuliert Dramaturg Matthias Seier ganz direkt: „In dieser Inszenierung soll ein Grenzgang zwischen Fotografie und Theater entstehen. Die Grenzen zwischen Schauspiel und Bildbetrachtung verschwimmen, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Faust und Mephisto. Die über 100 Fotos, die während einer Vorstellung allabendlich neu und live entstehen, würden – hintereinandergestellt – übrigens für keine fünf Sekunden Bewegtbild reichen. Augenblick, verweile doch.“ Eine Hommage, die im 19. Jahrhundert präsent schien, und nun doch akkurater als jemals zuvor wirkt.

Besetzung

ANDREAS BECK
CLAUDIO GATZKE
FRANK GENSER
HASTI MOLAVIAN
LAVINIA NOWAK
GITTE REPPIN
UWE ROHBECK
UWE SCHMIEDER
FRIEDERIKE TIEFENBACHER

Regie – KAY VOGES
Live-Fotografie – MARCEL URLAUB
Bühne – MICHAEL SIEBEROCK-SERAFIMOWITSCH
Kostüm – MONA ULRICH
Musik – PAUL WALLFISCH
Lightdesign – VOXI BÄRENKLAU
Video Art – MAX HAMMEL
Live Schnitt – LISA RODLAUER
Sounddesign – MICHAEL STURM
Dramaturgie – MATTHIAS SEIER

Weitere Informationen zum Stück finden Sie hier

(lah)

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