Wie kommt die Geschichte einer ganzen – frei erfundenen – Stadt auf die Bühne? Petra Schnakenberg erzählt uns das anhand ihres Stücks CIVITAS CUNT, das im Fabriktheater der Roten Fabrik Zürich im Mai 2023 uraufgeführt wurde.
Wie kam es dazu, dass Sie utopische Stadtmodelle bauen?
Petra Schnakenberg: Schon während des Studiums hat mich Modellbau fasziniert. Als sich mein Diplom anbahnte, tauchte ich tiefer ein. So entstand eine Serie von utopischen Stadtbildern in verschiedenen Maßstäben. Anfangs baute ich diese Utopien noch nach den literarischen Vorbildern von Italo Calvinos „Die unsichtbaren Städte“. Dann begann ich selbst, parallel zum Bau eines utopischen Stadtbildes, eigene „Stadt- geschichten“ zu schreiben.
Mit welchen Materialien arbeiten Sie dabei?
Vorwiegend mit Finnpappe und Pappelsperrholz für die „grobe“ Konstruktion der Model- le, diversen Papiersorten und Farben von Acryl bis Aquarell. Es kommt sehr auf das Modell und die Geschichte an – ich habe beispielsweise schon aus kleinen Fliesen Häuser für eine Unterwasserstadt gebaut. Oder aus einem Zahnpastadeckel einen Lampen- schirm im Maßstab 1:25. Ich habe bezüglich der Materialwahl gelernt, die Augen offen zu halten.
Sie schrieben gemeinsam mit ihrer Kollegin Chantal Dubs das Stück CIVITAS CUNT. Wie entstand die Idee?
Chantal und ich haben uns bei einer The- aterproduktion kennengelernt: Sie hat ge- spielt, ich habe das Bühnen- und Kostümbild entworfen. Ich habe Chantal von meinen Modellstädten erzählt und sie war begeistert: Lass uns doch eine feministische Stadtutopie bauen! Bei CIVITAS CUNT kommen mehrere meiner Stadtmodelle zum Einsatz, mit denen wir von verschiedenen Frauenschicksalen erzählen. Es geht um die Gender-Data-Gap, die geschlechtsbezogene Datenlücke, die Frauen im Arbeitsschutz oder der Forschung nicht berücksichtigt.
Was war zuerst: die Stadtgeschichte oder das Stadtmodell?
Der Bau eines Modells und die Gestaltung eines Bühnentexts laufen Hand in Hand. Bei CIVITAS CUNT erzählen wir die Lebensgeschichte von Mary B. Kenner, der Erfinderin des Menstruationsgürtels. Da stellte sich die Frage, wo das stattfinden kann, bevor wir einen fertigen Text hatten. Also baute ich ein Einfamilienhaus im Stil der 1950er-Jahre und dort sind wir dann durch die Räume gewandert. Danach kamen der Text, die Figuren, das Hörspiel mit dem Sounddesign sowie das Licht. Als ich die Gentrifizierung eines Bezir- kes veranschaulichen wollte, brauche ich hingegen mehrere Gebäude, also ein Stadtmodell.
Was war die größte Herausforderung bei dem Stück?
Ich musste beim Bauen des Modells der Stadt die Kamera schon mitdenken. Trotzdem stand drei Tage vor Premiere noch nicht fest, wie wir es schaffen, in bestmöglicher Qualität zu übertragen. Schließlich machten wir das mit der Handy-Kamera, weil es am besten funktionierte. Wir machen die Übertragung direkt auf der Bühne, das bedeutet, das Publikum sieht einerseits das Video auf der Leinwand, aber auch uns, wie wir die Bilder entstehen lassen.
Wie kann man sich das vorstellen?
Während des Stückes hört man fast durchgehend ein Hörspiel, welches Chantal mit verschiedenen Sprecher:innen aufgenommen hat. Ich filme durch die Modellräume oder Modellstädte, Chantal ändert währenddessen immer wieder die Figuren oder sorgt für verschiedene Effekte im Modell wie Rauch oder Licht. Das Ganze wird dann für das Publikum live auf eine große Bühne übertragen.
Welches Potenzial hat Objekttheater für Sie?
Das Potenzial des Objekttheaters liegt für mich in seiner Einfachheit. Ich kann so viele Begebenheiten in einer Modellstadt erzählen und trotzdem muss ich nicht zehn LKW mit einem riesigen Bühnenbild beladen. Anstatt dass zig Werkstätten meinen Entwurf für ein enormes Bühnenbild nachbauen, kann ich zunächst all meine Ideen in meinem Atelier ausprobieren. Aber mich begeistert am meisten, wie viel Aufmerksamkeit ein so kleines Modell oder Objekt bei einer Aufführung bekommen kann, dabei ist es nur so groß wie mein kleiner Finger! Es braucht eigentlich nicht viel, um ein Publikum in einer Geschichte mitzureißen.
Können Modelle ein Bühnenbild ersetzen?
Ich glaube nicht, dass Modelle ein Bühnenbild ersetzen können, wenn man ein „klassisches“ Bühnenbild möchte. Das Modell ist ein Ergebnis aus meiner künstlerischen Praxis, deswegen passt es gut zu meinen Stücken oder den Stücken, die ich ausstatte. Das ist nicht für jeden etwas.
Petra Schnakenberg ist bei der Präsentation des Stückes CIVITAS CUNT auch selbst auf der Bühne. Foto: Johanna Saxen
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