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Das tragische Bergbahnunglück von Kaprun im November 2000 ist auch 23 Jahre später nicht vergessen. Damals griff Elfriede Jelinek die Katastrophe, die 155 Menschen das Leben kostete, auf, um die komplexen Verhältnisse von Politik, Kultur, Technik und Natur infrage zu stellen. Mit dem Stück In den Alpen sollte sie allerdings nicht die Letzte sein, die sich kritisch mit dem österreichischen Alpenkosmos auseinandersetzt. Der Grazer Fiston Mwanza Mujila blickt in seinem Stück Après Les Alpes in eine satirisch dystopische Alpen-Zukunft: Gletscherschmelze oder noch schlimmer, nie mehr Apres-Ski? Die beiden konträren Stücke werden gerade als Doppelabend am Volkstheater Wien aufgeführt und sind nicht nur inhaltlich herausfordernd.

Après les Alpes entstand als Auftragsarbeit für das Volkstheater Wien und wird als Fortführung von Elfriede Jelineks In den Alpen als Doppelabend am Volkstheater Wien uraufgeführt. Bild © Marcel Urlaub

Der Doppelabend scheint kontrovers: zwei Stücke mit ergreifenden Inhalten treffen aufeinander – einerseits überspitzte Satire, andererseits blanke Titulierung. Die Bühnenbildnerin Elisabeth Weiß und die Video- und Tonkünstlerin Annalena Fröhlich arbeiteten in engem Austausch zusammen, um Herausforderungen gekonnt zu meistern. Zusammen gestalteten Sie ein Bühnenambiente, das viel Gehirn- sowie Armschmalz vonseiten aller Beteiligten bedarf. Wieso? Weil während der Inszenierung von In den Alpen die komplette Bühnenrequisite abgebaut wird.

Der Westen in der Wartehalle
Bühnenbildnerin Elisabeth Weiß stand seit der Konzepterstellung 2020 vor einer Herausforderung: „Wir wollten die beiden Teile des Stücks einerseits räumlich voneinander trennen, aber andererseits auch miteinander in Verbindung setzen. Es war immer klar, dass wir nicht zwei komplett von einer Pause getrennte Stücke zeigen wollen, sondern zwei Seiten einer Thematik, die sich in der Mitte überschneiden. So lösten wir die Situation mit der Idee von Innen- und Außenraum: Zuschauer:innen sollten im Laufe des Abends sozusagen fließend von der Innenperspektive in die Außenperspektive wechseln.“ Der erste Teil des Stücks spielt in einer Wartehalle im 1980er-Stil, der zweite Teil spielt zum Teil auf einem leeren Flugfeld. Durch Lichtinstallationen und Videokollagen verwandelt sich die Bühne in ein modernes, retro-schickes Ambiente mit bitterem Nachgeschmack. Das Bühnenbild kritisiert in seiner Ganzheit Globalisierung, Tradition sowie den Umgang mit Natur und Ressourcen. „Der sichere Innenraum der Wartehalle ist ein Verweis auf die abgeschottete westliche Position in der Welt“, erklärt Bühnenbildnerin Weiß weiter. Dadurch, dass das Stück live verwandelt wird und es mehrere diffizile Hub- und Zugfahrten gibt, ist es für Weiß unglaublich wichtig sehr eng mit der Produktionsleitung über den Inspizienten bis zur:zum einzelnen Techniker:in zusammenzuarbeiten.

IN DEN ALPEN APRES LES ALPES Regie Claudia Bossard 8333x12500Jeder Handgriff sitzt
Die Wartehalle, in der die Charaktere auf den Übergang ins Jenseits verweilen, wird als eine Art Vorhölle dargestellt. Stück für Stück baut sich diese Hölle ab und das Innere verwandelt sich in die dystopische Zukunft des zweiten Teils des Stücks. Die Figuren des 1. Stückes kommen immer mehr in Bedrängnis und werden durch den stetigen Abbau des Warteraumes, in dem sie sich befinden, in eine immer unsicherere Position gebracht – es geht buchstäblich zu Ende und sie werden von den Figuren des 2. Teils abgelöst. Der Bühnenabbau während der Vorführung ist das Ergebnis einer sehr komplexen Choreografie aller technischen Abteilungen inklusive der Spielenden. Die technische Mannschaft kennt die Abläufe und bekommt von der Inspizients Stichworte für die einzelnen Handgriffe. Die nicht händisch zu bewegenden Bauteile werden mittels Maschinenzüge in den Schnürboden gezogen – wobei der Plafond hinter dem Vorhang versteckt einseitig ausgehangen und in der Vertikalen nach oben gefahren wird. „Der offene Umbau als Teil der Inszenierung ist natürlich auch praktisch von Vorteil, da ich so gestalterisch in beiden Teilen nicht so viele Kompromisse machen musste“, freut sich Weiß.

Klassisches Theater
„Es war sehr anspruchsvoll, einen Abend aus zwei unterschiedlichen Stoffen zusammenzufügen und die Energie auf der Bühne wie auch im Zuschauerraum oben zu halten. Durch den Wechsel der Räume ergibt sich für mich auch rhythmisch eine spannende Komponente, etwas bleibt immer in Bewegung und die Spannung bleibt, weil man weiß, oder spürt, dass da noch etwas kommt. Wir haben auch oft von dem Bild der Plattentektonik gesprochen: Etwas verschiebt sich, die Welten ordnen sich neu“, erklärt Weiß weiter. Klassische Theatermittel helfen bei der Durchführung des Stücks: im 1. Teil hängt der Plafond und die Rückwand mit den Fenstern in mehreren Zügen. Auch der umgebaute Hub wurde für den Lift benutzt. Im 2. Teil arbeiten wir zusätzlich mit der Drehscheibe bei gleichzeitiger Hubfahrt. Und die großartige LED-Wall kommt auch zum Einsatz. Elisabeth Weiß fährt weiter fort:

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"Der Bühnenabbau während der Vorführung ist das Ergebnis einer sehr komplexen Choreographie aller technischen Abteilungen inklusive der Spielenden." Elisabeth Weiß, Bühnenbildnerin

Eine Reise von Elfriede Jelinek nach Fiston Mwanza Mujila
Das rein weiblich gelesen Leadteam nahm das Publikum mit auf eine Reise durch die Alpen. Regie führt die Schweizerin Claudia Bossard, die die inhaltliche Komplexität des Stücks ausführt: „In dem Doppelabend geht es um die Ausbeutung von Natur und Menschen. Aber auch um menschliche Schuld. Die beginnt hier in Österreich mit der Gletscherbahnkatastrophe in Kaprun im Jahr 2000, wo 155 Menschen auf grässliche Art und Weise verbrannt sind und alle 16 Angeklagten freigesprochen wurden. Elfriede Jelinek baut in ihrem Text In den Alpen eine düstere Analogie zu den Vernichtungsöfen im 2. Weltkrieg auf. In Après les Alpes zieht Fiston Mwanza Mujila die Schuld- und Ausbeutungsfrage von Natur und Mensch weiter auf eine globale Ebene hin zu einer Umdrehung von Kolonialgeschichte.“

Das Doppelstück In den Alpen // Après les Alpes prämierte am 17. Februar 2023 und ist noch bis Ende Mai 2023 am Volkstheater Wien zu sehen.

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