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Das Große Festspielhaus in Salzburg arbeitet als erste Spielstätte weltweit mit einem sogenannten „digitalen Zwilling“. Kooperationspartner Siemens hat ein digitales Modell erschaffen, dass die Planung von Akustik und Bühnenanordnungen ohne aufwendige Umbauten ermöglicht.

Bei aller Digitalisierung: Das echte Erlebnis bietet immer noch das analoge Festspielhaus. Foto: Andreas Kolarik

Das Große Festspielhaus in Salzburg dient als erster Anwendungsfall für eine innovative Technologie: Der von Siemens entwickelte „digitalen Zwilling“ kann die Akustik des Veranstaltungssaals vorab exakt digital simulieren. Steht die Veranstaltungsbranche damit vor dem nächsten tiefgreifenden Digitalisierungsschritt? Vielleicht. Denn wie nützlich die Technologie wirklich ist, wird erst die Zukunft zeigen. Fest steht aber jetzt schon: Der Salzburger „Zwilling“ ist ziemlich vielversprechend.

Akkurates Hörerlebnis durch „Sound of Science“

Das digitale Modell ermöglicht es, ohne bauliche Veränderungen verschiedene akustische Szenarien zu testen – noch bevor ein Konzerthaus überhaupt gebaut ist. Nach dem Bau können Tontechniker:innen die „Sound of Science“ genannte Anwendung dann unter anderem dafür nützen, um die Akustik weiter zu verfeinern. Denn der „Zwilling“ erlaubt eine akustische Vorhersage und Optimierung der Saalkonfigurationen und Orchesteraufstellungen und wurde erstmals bei den Salzburger Festspielen eingesetzt. „Das Modell arbeitet sehr genau und wissenschaftlich fundiert. Es werden nicht nur die allgemeine Form des Raumes und die durchschnittlichen Nachhallkoeffizienten berücksichtigt, sondern auch die detaillierte Geometrie des Saals sowie alle strukturellen und dekorativen Materialeigenschaften“, sagt Karen de Meyer, Projektleiterin auf Seiten des Siemens Simcenters.

Durch die Genauigkeit entstehen neue Potentiale für die Kultur- und Kreativbranche. „Architekt:innen und Tontechniker:innen können mithilfe des digitalen Zwillings Konzertsäle designen, die sich gezielt an bestimmte Musikgenres oder Aufführungsstile anpassen. Durch die Modellierung jedes einzelnen Details, etwa bis zu den akustischen Paneelen, lässt sich das Hörerlebnis optimieren,“ sagt Karen de Meyer. All das ist bereits möglich, bevor der Konzertsaal real existiert.

Die Technologie dahinter greift auf zwei zentrale Komponenten der Simulationssoftware „Siemens Simcenter“ zurück: Sogenannte Impulse-Response-Messungen und Ray-Tracing-Solver, welche die Bewegung und Reflexion von Schallwellen in einem Raum präzise abbilden. „Die Möglichkeit, kontinuierlich zwischen Test und Simulation zu wechseln, ermöglicht es uns, die Modelle mit bisher unerreichter Genauigkeit zu optimieren und zu validieren“, sagt Karen de Meyer. Für die Tontechnik bietet die Technologie den Vorteil, dass Sitzanordnungen und Bühnenkonfigurationen im Voraus simuliert und optimiert werden können – was die Planungskosten und den Zeitaufwand bei Veränderungen erheblich reduzieren kann.

Kreative Potentiale für Planer:innen und Künstler:innen

Für die Salzburger Festspiele bedeutet der „digitale Zwilling“ eine neue Flexibilität. „Mit ihm ist ein nützlicher Einsatz in verschiedenen Bereichen möglich: etwa für die Dirigent:innen die Überprüfung der Orchestersitzordnungen am Podium bis hin zu Hörpositionen im Saal fürs Publikum“, sagt der Festspiele-Tonchef Edwin Pfanzagl-Cardone. „Auf diese Weise lassen sich unterschiedliche schalltechnische Szenarien vergleichen – auch mit Blick auf kürzere und längere Nachhallzeit mit oder ohne Publikum.“ Die Festspiele sehen die neue Technik also vor allem als Weg, Aufführungen noch präziser zu inszenieren und die Vorbereitungen zu vereinfachen. Am 20. Juli wurde die Technologie im Rahmen eines Events für die Öffentlichkeit per VR-Brille vorgestellt. Besucher:innen konnten sie dadurch direkt erleben.

Die Zukunft der Technologie hinter dem „digitalen Zwilling“ sieht Siemens aber auch außerhalb des Kulturbereichs. Neben dem Potenzial in der Theater- und Eventbranche bietet die Zwillingstechnologie auch Vorteile für andere Industrien – wie das Fahrzeugaudiodesign oder die Verifikation von Lautsprechersystemen in Flugzeugen. Siemens sieht darin ein großes Potenzial und plant bereits, weitere Veranstaltungssäle in Deutschland und England digital zu erschließen.

Digitaler Zwilling als Standardwerkzeug?

Für die Eventtechnik und Raumakustik verspricht der digitale Zwilling jetzt schon einen großen Schritt: Weg von kostspieligen, physischen Anpassungen hin zu virtuellen Szenarien – die sich noch dazu schnell und effizient testen lassen. Mit dieser Technologie wird die Zukunft von großen Veranstaltungsorten, wie dem Großen Festspielhaus, ein Stück berechenbarer – und bietet den Beteiligten zwei große Vorteile: mehr Planungssicherheit, aber auch mehr kreative Spielräume. Der „digitale Zwilling“ könnte künftig eine unverzichtbare Ressource für die Kultur- und Eventbranche werden und zum Standardwerkzeug für Planer:innen und Veranstalter:innen avancieren. So könnten Konzert- und Theaterhäuser ihre Klangqualität auf völlig neue Weise perfektionieren und damit langfristig auf ein verändertes Publikumserlebnis setzen. Wie bei allen Innovationen entscheidet aber auch beim „digitalen Zwilling“ schlussendlich die Praxis, ob er sich durchsetzt oder nicht.

-ae

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