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Das Staatstheater Augsburg geht neue Wege und lässt das Publikum Teil einer virtuellen Inszenierung werden. Die VR-Brillen sind halt dazu notwendig.

Eine der Inszenierungen aus Augsburg – die Animationen kommen aus dem Studio. Foto: Herbert Starmühler

Wären wir professionelle Nörgler, so könnten wir jetzt sagen: Puh, aber solche Brillen „im Theater“ sind schon ziemlich unpraktisch. Sind wir aber nicht. Daher sagen wir: Jö, das ist mal etwas ganz anderes!

Nämlich ein Theaterabend mit Mitmachcharakter. Aber der Reihe nach:

Das Elektrotheater ist eine Bühne im virtuellen Raum, in der sich Publikum und Spieler:innen live und kopräsent begegnen können - als Avatare in schier unendlichen immersiven Welten. Die VR-Brillen des Staatstheaters Augsburg sind der Ausgangspunkt für das Entwicklungsprojekt, das sich gefragt hat, wie eine Theaterbühne in VR nachzubauen ist, ohne nur den physischen Raum zu kopieren.

Theatermechanik ohne notwendigerweise Architektur

Herausgekommen ist eine Infrastruktur, die Theatermechanik nachempfindet, ohne notwendigerweise Architektur zu kopieren. Soll heißen, man sieht eine sanfte Mischung aus Tetris-Spiel (für die Älteren unter Ihnen) und Fortnite (für die anderen). Es ist animiert, ein einfaches Grafik-Spiel, bei der man als Bäumchen oder Blume auf die Bühne geholt wird.

„Auf der Elektrotheater-Bühne können wir immersive und partizipative Abende gestalten, die live und im geteilten virtuellen Raum stattfinden, und die nicht beschränkt sind durch die Grenzen des Guckkastens“ sagen uns die Augsburger Theatermacher:innen. 

elektrotheater augsburg 17 copyright staatstheateraugsburg christian schlaeffer daniel stock

Die Animationen und VR-Einblicke beeindruckten. „Mitspieler“ sind nun auch Pflanzen, Blasen – alles Mögliche. c: Daniel Stockinger

Längere Entwicklung, mehrere Schritte

Und weiter: „Zusammen mit dem Künstlerduo Christian Schlaeffer und Daniel Stock haben wir in Workshops und Brainstormingphasen Funktionen und Wirkweisen des Elektrotheaters besprochen und festgelegt. In der Entwicklungsphase haben wir die VR-Brillen dazu gebracht, miteinander zu sprechen und die virtuelle Bühne in Unity gebaut. In einer dritten Phase ab November 2021 haben wir eine künstlerische Exploration der Infrastruktur unternommen.

Hierzu haben wir vier künstlerische Teams aus verschiedenen performativen Disziplinen - von Puppenspiel über immersives Gametheater bis hin zu Technoperformance - eingeladen, sich mit unserer VR-Bühne auseinanderzusetzen und in einem Labor herauszufinden, welche Geschichten wir hier erzählen, welche Bilder wir erzeugen können um mit euch einzutauchen in die Welt der Social-VR Erfahrungen.“

Mit der VR-Brille am Wohnzimmer-Sofa

Man setzt sich also am Sofa daheim die VR-Brille auf und ist schon mittendrin im Foyer des Theaters, in einem dreidimensionalen Raum, einfach aber durchaus beeindruckend gestaltet. Mittels Bedienflächen bewegt man sich auf die Bühne zu oder schaut sich um, kommt näher, geht weg.

Die vier „Skizzen“ stammen also von vier Künstler-Kollektiven aus Deutschland und Österreich, die sich mit der Infrastruktur künstlerisch beschäftigt haben: die Cyberräuber (Björn Lengers/Marcel Karnapke), outofthebox (Ricardo Gehn/Susanne Schuster) feat. Sarah Buser, Hannes Kapsch/Winnie Christiansen und das Planetenpartyprinzip (Simon Windisch/Leonie Bramberger/Moritz Ostanek).

Streamingshow mit interessanten Ausblicken

In einer großen Streamingshow auf dem Portal twitch.tv und live im Elektrotheater diskutierten Theatermacherinnen und Interessenten die Skizzen der Künstler:innen und berieten darüber, was digitale Kopräsenz im virtuellen Raum sein könnte.

Alles in allem war es eine zwiespältige Angelegenheit, wenn man ein erstes Resümee ziehen möchte. Der technische Aspekt ist nicht zu unterschätzen. Bei unserem Equipment klappte zum Beispiel der Einstieg auf die Bühne nicht, die Kopfhörer samt VR-Brille sind gewöhnungsbedürftig.

Die Grenzen der Bühnenwelten verschwimmen

Aaaaber: Ja, die Möglichkeiten sind erkennbar und vielfältig. Was eine Bühne ist, wird zusehends unklarer, zumal nunmehr die Sinneseindrücke, das zu Sehende, das zu Hörende dominieren. Die Bühne ist das Ganze. Interaktionen werden möglich, erträglich, vielleicht sogar ergiebig.

Wohin die Reise führt, ist derzeit kaum abschätzbar. Aber seit der Mailänder Macbeth-Premiere im vergangenen Dezember ist jedem klar, dass elektronische Hilfsmittel nicht nur stören müssen. Wer Frau Netrebko halb wahnsinnig vom gefühlten 18. Stockwerk auf die Straße (fast) abstürzen sah, hinunter auf die autobelebte Straße, hat gesehen, was nur die TV-Übertragung ins Wohnzimmer gebracht hat – die Leute in Mailand in der Oper haben das so gar nicht gesehen.

In Augsburg sah man schon einen möglichen nächsten Schritt

Digitale Elemente sind Teil unseres ganzen, tagtäglichen Lebenstheaters. Nun kommen diese Elemente und Momente zusehend  auf die Bühne.

In Augsburg sah man schon einen möglichen nächsten Schritt. Die Bühne als lebensechte Verschränkung von Inszenierung und eigener, zumindest gefühlter Wirklichkeit bringt neue Möglichkeiten. Für Regisseure, Schauspieler:innen und Publikum.

Die Aktivitäten wurden übrigens im Rahmen von »dive in. Programm für digitale Interaktionen« der Kulturstiftung des Bundes, gefördert und durch die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm NEUSTART KULTUR.

VR braucht Interaktivität

Lassen wir eines der Kollektive erklären, welche Intentionen sie angetrieben haben. Marcel Karnapke und Björn Lengers bilden seit 2016 das Künstlerkollektiv „CyberRäuber – Theater der virtuellen Realität“ (vtheater.net). Sie verbinden Theater mit dem virtuellen Raum, bringen – oft gemeinsam mit anderen KünstlerInnen – digitale und virtuelle Welten ins Theater und das Theater auf virtuelle Bühnen.

Marcel Karnapke und Björn Lengers erklären: „Wir lieben das Theater und wir glauben an VR als Erzählmedium: Wenn VR funktionieren soll, braucht sie Interaktivität, das Gefühl von Präsenz, Fokussierung auf Handlung und Personen. Und sie braucht starke Geschichten.

Theater kann das alles schon, seit Tausenden von Jahren und in allen menschlichen Kulturen. VR braucht das Theater.

„Wir glauben an Virtual Reality als Erzählmedium und lieben das Theater“

Gutes Theater ist wunderbar. Aber die Zeiten des Theaters als bürgerliches Leitmedium sind vorbei. VR ist Zukunftstechnologie und ein Weg, viele Menschen unmittelbar zu erreichen. Und so: gutes Theater vielen zugänglich zu machen, unabhängig von Ort und Zeit. Außerdem sind in VR der Kreativität für Bühnen und Szenarien kaum Grenzen gesetzt. Theater braucht VR.

Für das Projekt „CyberRäuber“ gegründet, haben wir uns für die Zusammenarbeit mit vielen Theatermachern und Künstlern geöffnet und bauen sukzessive unseren Spielplan aus. Wir zeigen unsere Arbeiten als Theaterinstallation und begehbare Inszenierungen, und als downloadable content für Zuhause.“

(hst)

 

 

 

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