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Bei der ersten Nach-Corona-Inszenierung am ODEON in Wien spielt die Bühnentechnik eine wichtige Rolle.

Odeon-Theater
Farben und abstrakte Formen spielen zentrale Rollen im Serapions-Theater ODEON bei KOOM POSH. Foto: ODEON-Theater

KOOM POSH, eine Inszenierung von Max Kaufmann und Mario Mattiazzo hatte Premiere am 10. Juni 2021. Endlich! „Mehr als einem Jahr nach der ursprünglich geplanten Premiere können wir nun die neue Serapions-Theater-Inszenierung KOOM POSH präsentieren. In dieser Zeit wurde das Stück in mehreren Probephasen weiterentwickelt und kontinuierlich am Bühnenbild gebaut“, erklärt Benjamin Agostini (Serapions Ensemble).

Kein Nachteil ohne Vorteil
Es wurde somit eine weit aufwendigere Produktion auf Grund von Zeit, die sonst nicht zur Verfügung stehen würde. „Denn wäre die Premiere wie geplant im April 2020 über die Bühne gegangen, hätten wir einen Großteil der entstandenen Ideen wohl gar nicht umsetzen können, und es wäre ein ganz anderes Stück geworden.“

Stadt der Gerechtigkeit
KOOM POSH orientiert sich vor allem an dem Drama von Lev Lunz „Die Stadt der Gerechtigkeit“ und bezieht seinen Namen aus Edward Bulwer Lyttons „Das Kommende Geschlecht“, das als zweite Inspirationsquelle auf dem Tisch lag. Die Anregung dazu kam von Erwin Piplits und wurde von Max Kaufmann und Mario Mattiazzo mit dem Serapions Ensemle in einer insgesamt fünfmonatigen Produktionszeit erstellt.

Stadt der Angepassten
Kein Staat, keine Ideologie, keine Religion ist in der Lage, eine menschenwürdige Gesellschaft zu gestalten. Das kann nur durch die Zuneigung und Herzensbildung gegenüber den anderen, durch jede Einzelne und jeden Einzelnen bewirkt werden. Lev Lunz (1901-1924) beschreibt in seinem Drama „Die Stadt der Gerechtigkeit“ eine versprengte, heruntergekommene Gruppe von Revoltierenden, die nach der Stadt der Gerechtigkeit sucht. Sie landen in einer Stadt voller Angepasster, in der sich alle gleich kleiden, gleich bewegen, und in der es keinen Besitz gibt.

Unruhe im Getriebe
Die revoltierende Meute wird von den Bewohnern dieser Stadt gastfreundlich aufgenommen. Die Mitglieder der Meute können aber nicht erkennen, dass diese Stadt der Gerechtigkeit die Konsequenz ihrer revolutionären Erwartungen ist und sind nicht in der Lage, sich in das Leben dieser Stadt einzufügen. Sie bringen daher Unruhe in diese sterile Gesellschaft und verführen deren Bewohner dazu, Emotionen zu entwickeln und aggressiv zu werden. Nach und nach wird die Stadt der Gerechtigkeit zerstört. Zurück bleibt bei Lew Lunz ein aus Eifersucht gemordetes Liebespaar. Die Schar der Revoluzzer zieht weiter, auf der Suche nach der Stadt der Gerechtigkeit. Der sterbende Kommissar ruft ihnen nach: „Ihr kommt an, aber ihr findet es nicht“.

Alles dreht und verschiebt sich
Das Bühnenbild (Max Kaufmann, Eva Grün) unterstützt die Stimmungslagen mittels mehr oder weniger grellen Farben, die Masken tragen zur Uniformität bei. Große Fahnentafeln verschieben sich laufend und immer wieder und abwechselnd und bieten den Protagonisten zahlreiche Abgangs- und Auftrittspassagen. Mal werden die Tafeln zur Wand, dann wieder winden sie sich zu Säulen, schlingen sich um Säulen. Eine gelungene Symbiose aus Bühnentechnik, Maskenbildnerei und Performenden.

Inszenierung und Spielleitung: Max Kaufmann, Mario Mattiazzo

Anregung: Erwin Piplits
Bühne: Max Kaufmann, Eva Grün
Gestaltung und Malerei: Eva Grün, Max Kaufmann, Mirjam Mercedes Salzer, Isa Pröll mit Unterstützung von Lucia Herber
Serapions Ensemble: Elvis Alive, Julio Cesar Manfugás Foster, José Antonio Rey Garcia, Ana Grigalashvili, Mercedes Miriam Vargas Iribar, Miriam Mercedes Vargas Iribar, Zsuzsanna Enikö Iszlay, Dascha Ivanova, Max Kaufmann, Mario Mattiazzo, Erwin Piplits, Gerwich Rozmyslowski, Sandra Rato da Trindade

Zum Hintergrund des Stückes:
Lew Lunz war das jüngste Mitglied der Literatengruppe „Serapions Brüder“ in Petersburg und übte starken Einfluss auf die Gruppe aus. Als Jude war es sinnvoll, die Sowjet Union Anfang der 20er-Jahre zu verlassen. Er folgte seinen Eltern nach Hamburg und starb dort mit 23 Jahren an den Folgen der Hungersnot in Petersburg während des Bürgerkriegs.

Edward Bulwer Lytton (1803-1873) entwirft in der Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner Novelle „Das Kommende Geschlecht“ das Bild einer unterirdisch lebenden perfekten, gerechten Gesellschaft, ohne Emotionen und Besitz, namens „Vril-ja“. Diese Gesellschaft verfügt über Energien, die sie „Vril“ nennen und die sie mittels Daumen-Druck auf Tasten an einem Gerät, das sie immer in der Hand tragen positiv und zerstörend einsetzen können.

Eines Tages werden sie die Erdoberfläche erobern. Die einzige Gefahr für diese verborgene, perfekte Gesellschaft ist ein wildes Volk, das an der Erdoberfläche haust und das sie „Koom-Posh“ nennen. Der Begriff, der aus dem Chinesischen stammen soll und der, laut Bulwer Lytton, „...the ascendancy of the most ignorant or hollow“ bedeutet. In deutscher Übersetzung: „Die Herrschaft der Unwissendsten“. Die Übersetzung ziehen wir vor, denn ein Unwissender muss kein Ignorant sein. „Koom“ (wie das welsche Cwm ausgesprochen) bedeutet immer etwas Hohles; „Koom-in“ = ein Loch; „Bodh-koom“ = Unwissenheit, wörtlich: Wissen-Leere. Posh ist laut Bulwer Lytton kaum zu übersetzen und drückt Verachtung aus.

Unwissenheit in der Macht, zum Beispiel in Diktaturen oder in verlogenen Demokratien, führt letzten Endes immer zu verachtenswerter Leidenschaft, Machtergreifung und Zerstörung. Aber auch Liebe kommt in der Geschichte Bulwer Lyttons auf, die dazu führt, dass der beschreibende Besucher dieser Gesellschaft durch eine liebende Frau vor seinem Untergang gerettet wird, sodass er die Menschheit vor diesem Geschlecht warnen kann.

Lord (Bulwer) Lytton off Knebworth war eine brillante Schriftsteller-Gestalt des viktorianischen Englands. Er schrieb über 30 Romane, von denen nur „Die letzten Tage von Pompey“ nicht in Vergessenheit geraten ist. Er starb auf seinem Landsitz bei Torquay und ist in der Westminster Abbey beigesetzt.

Das Serapions-Theater nimmt die Werke als Anregung für eine eigene szenische Entwicklung. Es wird nicht interpretiert.
Das Ensemble entwickelt seine szenische Arbeit auf Basis einer freien, gemeinsamen Improvisation, einer Anregung folgend. Das bei diesen Improvisationen entstandene wird durch die Spielleitung in eine präzise vermittelbare Form gebracht. Die auf diese Weise unmittelbar entstanden Szenen werden in eine der gemeinsamen Vorhaben entsprechenden Weise angeordnet. Und zwar so, dass der erste, spontane Eindruck auch in der disziplinierten Ordnung und Wiederholung in den Vorstellungen möglichst erhalten bleibt.

Eventuell gesprochene Texte sind nicht Ausgangspunkt oder Zentrum des Spiels, sondern werden als Ergänzung nachträglich, wie Lichter in der Malerei, eingesetzt. Die Gestaltung der Bühne, der bildnerische Anteil der Arbeit, entsteht in der Probe im ersten Monat der Arbeit und entwickelt sich in deren weiteren Verlauf gemeinsam mit der Szene. Sie nimmt also intensiv Teil am szenischen Arbeitsverlauf und ist nicht schon vor Probenbeginn fertig. Bildnerische Anregungen kommen aus dem Futurismus.

Ebenso die Musik; sie wird im Laufe der Entwicklung der Szenen ausgesucht und steht nicht von vorneherein fest. Getragen wird diese gemeinsame, kunstschaffende Arbeit von einer zutiefst humanitären Einstellung: der Auffassung von Freiheit als Ausdruck persönlicher Verantwortung aller Beteiligten. Also von einer allgemeinen Menschenliebe insgesamt und nicht einem Diktat folgend. Bildnerische Anregungen kommen aus dem Futurismus.

odeon-theater.at

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