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„Vorfahren!“ hieß das Motto im niederösterreichischen Theaterdorf Litschau. 

Einfaches, aber einprägsames Bühnenbild mit Daniela Šišková und Dan Kranich. Foto: Herbert Starmühler

Das mittlerweile schon etablierte Theaterfestival HIN & WEG ging am 21. August 2022 nach sechs abwechslungsreichen Theatertagen und einer intensiven Seminarwoche mit erfreulicher Auslastung in Litschau zu Ende. Auf ein strahlend schönes erstes Wochenende folgte ein leicht verregnetes zweites. Dennoch kamen, wie bereits im Vorjahr, in Summe rund 5.000 Besucher:innen.

Nach über 140 Veranstaltungen an rund 40 Spielstätten zeigten die 2018 erstmals von Zeno Stanek ins Leben gerufenen Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung, dass sich Litschau jährlich in ein kreatives, pulsierendes Theaterlabor, gerade auch für junge Theaterschaffende, verwandelt – auf sehr hohem künstlerischen Niveau. Am Herrensee ist ein Spektrum an Inszenierungen und Theaterformaten möglich, das in der österreichischen Theaterlandschaft seinesgleichen sucht. Dies spiegelt sich in den durchgehend sehr gut besuchten, oft ausverkauften Veranstaltungen wider.

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Lockere Lesung auf der Zetschen-Wiese über die „Falten im Anthropozän“: Elisabeth Halikiopoulos, Felix Werner-Tutschku, Saskia Norman und Gisela Salcher (v.l.n.r.). Foto: Herbert Starmühler

Gespräch und Auseinandersetzung

Festivalerfinder Zeno Stanek zieht Bilanz: „Die Intention des Theaterfestivals, zum einen spannende Geschichten zu erzählen und damit die Besucher*innen emotional zu berühren, zum anderen Menschen zum Gespräch und zur Auseinandersetzung mit dem in den Aufführungen Erlebten anzuregen, ging auch heuer voll auf. Dies ist vor allem dem harmonischen Zusammenspiel von Künstler:innen und Organisationsteam zu verdanken, das den dahinterliegenden immensen Aufwand ohne Aufsehen managte und den Besucher*innen zwei wunderbare Theater-Wochenenden schenkte.“

Korrupte Kabel und Frankenstein

Vom korrupten Kabel zu Shakespeare, vom Theatergarten zu Frankenstein – ausgewählte Highlights:
Eröffnet wurde am 19.8. mit „Cables“ von Christian Winkler, bereits Stammgast bei HIN & WEG. Diese Produktion des Theaters am Lend/Graz begann als befremdliches Konzert eines nordmazedonischen Musikers, entwickelte sich zu einer höchst komischen Satire auf Vernetzungen aller Art von Social Media bis zur Korruption und mündete in der Annäherung der beiden Protagonisten, einer Technikerin und eines Musikers, jenseits aller Elektronik.

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Ivica Dimitrijevic taucht gegen Ende von Cables vollends in die Welt der Kabel-Korruptions-Beziehungen ab. Foto: Herbert Starmühler

Bleiben wir im Dialog

Mit „Finale 2022“ von und mit Calle Fuhr endete am 21.8. HIN & WEG 2022 – ein Mann, eine Bühne, ein Mikro: auch so geht Theater. Angesichts der global virulenten Klimakrise versuchte Fuhr Antworten auf die konkrete Frage „Und? Wos moch’ ma?“ zu geben und fand durchaus zuversichtlich stimmende Lösungsansätze für einen möglichen gesellschaftlichen Wandel. Etwas Mut und verrückte Perspektiven braucht es, das kleine Zeitfenster an Möglichkeiten nützen zu können, um die Klimakrise zu minimieren. Sein Credo „reden wir, bleiben wir im Dialog“ ist symptomatisch für das gesamte Festival: Es geht um die Auseinandersetzung mit den wichtigen Themen unserer Zeit – in Theaterproduktionen und in den ebenso wichtigen Gesprächen zwischen den Aufführungen.

Beide Produktionen verband der positive Ausblick, das Aufzeigen von Handlungsspielräumen, und seien sie noch so klein – allen heraufbeschworenen Dystopien zum Trotz.

Markenzeichen Stationentheater

Seit dem ersten Festival ist Stationentheater ein zentrales Format von HIN & WEG, bieten sich doch die Landschaft rund um den Herrensee wie die beschauliche Stadt Litschau bestmöglich zum Spazieren an. Heuer fand erstmals die Eigenproduktion „Chronik der nördlichsten Stadt“ von Armela Madreiter und den beiden Kollektiven wohingenau und kollekTIEF statt.
Weiters gab es die grandiosen Produktionen „Spaziergang für die Figur I & II“ vom Schubert Theater Wien sowie „Ludwig van Beethoven“ von Theater Fink und „Walden“ als Spaziergang speziell für Kinder. Auch „Menschen im Wald“ von Hans-Christian Hasselmann stand wieder am Spielplan.

Interaktiver Theaterspielplatz

Im Areal des Strandbades: „Fishing for Shadows“ von Rebekah Wild – ein Theatergarten voller beweglicher Figuren und Automaten, mit denen die Besucher:innen ihrer Fantasie freien Lauf lassen konnten. Ein magischer, interaktiver Raum, ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene, wo selbstredend auch Kinder sehr willkommen sind.

Szenische Lesungen

Zentral für HIN & WEG sind die Szenischen Lesungen von meist neuen Texten, 14 Stücke waren es heuer. Mit minimalem Ausstattungsbudget und kürzester Probenzeit zaubern die kreativen Theaterleute die Szenerie für das Stück. Länger als eine Stunde darf’s nicht dauern. Das Ergebnis sind straffe, ideenreiche, oft sehr witzige, die wesentlichen Eckpfeiler eines Werks herausarbeitende Aufführungen. Die Studierenden und Absolvent:innen der Schauspielschulen legen die Latte hoch und spielen sich die Seelen aus dem Leib – fallweise unterstützt von älteren Kolleg*innen. Gespielt wird an ausgefallenen Orten, wie an einem privaten Pool „Wir waren zuerst da“ von Dramatiker*in Residence Magdalena Marszałkowska. „Die Hochzeit“ fand als Live-Hörspiel in der Alten Bäckerei statt, „Loreley“ von Fink Kleidheu und Tilman Rammstedt in Pelos Schuppen am Waldrand mit Blick auf den vernebelten Herrensee.

Theateraufführungen

Neben den o. g. Eröffnungs- und Abschlussproduktionen gab es weitere 24 Theaterstücke zu sehen. Beeindruckend unter anderen das Gastspiel „Atmen!“ des Südböhmischen Theaters oder „Geschlossene Gesellschaft“ von der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin. In der „Blechhalle“ performten Sören Kneidl, Lukas Böck und Robin Gadermaier inmitten von aufgestapelten Karosserien eine faszinierende Version von „Frankenstein“ als Konzert und Live-Hörspiel.

Hörspiele

Die seit dem ersten Festival gepflegte Tradition der Ö1-Hörspielreihe hat sich zu einem kleinen Publikums-magneten entwickelt. Bis zu 30 Personen fanden sich zum gemeinsamen Hören ein – in der Sauna des Theater- und Feriendorfs, am Fantasiedachboden, nachts vor dem Alten Schloss unter freiem Himmel mit Kerzenbeleuchtung oder am Festivalboot. Getreu dem Motto „100 Jahre Niederösterreich“ hatten alle Hörspiele einen Konnex zum Bundesland.

Selbstredend: es wären viele weitere Highlights zu nennen. Allen voran die morgendliche Teelöffellounge von Katharina Stemberger, sowie Bernhard Fellingers Früh.Stücks-Matineen im Herrenseetheater, die brisante Themen oft sehr emotionalisierend, aber dialogorientiert behandelten. Oder die nächtlichen Feuergespräche, die sich heuer „Niederösterreich in 100 Jahren“ verschrieben hatten. Die ausverkauften Küchenlesungen in privaten Haushalten mit Lieblings.Stücken, gelesen von Theaterpersönlichkeiten. Und die von Ernst Molden kuratierte abendliche Konzertreihe auf der Bühne des Herrenseetheaters, heuer etwa mit Paul Plut, Mara Romei oder Belle Fin beschloss jeden Festivalabend.

Theater-Workshops

Zwischen den beiden Festival-Wochenenden fanden sechs verschiedene Theater-Workshops zu Objekt- und Improvisationstheater, Storytelling, Sprechen usw. mit Rebekah Wild, Margarete Schuler, Jim Libby u. a. statt, kuratiert von Johanna Jonasch, der pädagogischen Leiterin des Theater- und Feriendorfs Königsleitn.

Die nächste Gelegenheit Theater-Workshops im Theater- und Feriendorf zu besuchen, bietet sich übrigens vom 26.10.-29.10.2022 an: Fünf verschiedene Workshops für jedes Alter zum Thema „Alles Shakespeare!“ an vier Tagen in den Herbstferien. Infos unter: https://koenigsleitn.at/kurse-und-camps/#herbst2022

Vormerken! Das 6. Theaterfestival HIN & WEG findet von 11.–20.8.2023 statt. Es wird sich mit der Dummheit in all ihren Facetten und mit dem Dramatiker William Shakespeare beschäftigen. Zwischen den beiden Festival-Wochenenden werden wieder Theater-Workshops abgehalten.

(hst)

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